Von
Dr. Harald Michel, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik, Pharmacia
& Upjohn GmbH, Erlangen
Spätestens
seit Sommer dieses Jahres sind Demenzen auch ein offizielles (bundes)politisches
Thema. Vertreten durch ihr Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend beantwortete die Bundesregierung eine Große Anfrage der SPD zur
„Situation der Demenzkranken in der Bundesrepublik Deutschland“. Auf
42 Schreibmaschinenseiten findet der Leser zu insgesamt 27 Teilfragen eine
relativ kompakte, fast lehrbuchartige Zusammenfassung des heutigen Wissens
zur Demenz. Es lohnt sich, diese „offiziellen“ Ausführungen zur
Kenntnis zu nehmen, da sie das politische Denken und Handeln der nächsten
Jahre im Sinne eines „State of the Art“ beeinflussen können. Zum
Nachdenken und Spekulieren ermuntert allein schon die Feststellung, daß
die Anfrage vom Senioren- und nicht vom Gesundheitsministerium beantwortet
wurde.
Immer
mehr Demenz-Kranke
Aus epidemiologischer Sicht räumt
die Bundesregierung ein, daß in Deutschland bislang nur kleinere Studien
eher deskriptiven Charakters durchgeführt worden sind. Unter Vorbehalt
geht sie davon aus, daß derzeit bei uns zwischen 720.000 und 850.000
Personen an einer mittelschweren bis schweren Demenz leiden. Bei
Einbeziehung leichterer Stadien rechnet sie mit 1,2 Millionen Betroffenen,
wobei auch Schätzungen von
bis zu 1,5 Millionen Demenz-Kranken nicht mit letzter Sicherheit zurückzuweisen
seien. Für die weitere Entwicklung bis zum Jahr 2010 rechnet die
Bundesregierung mit einem Anstieg der Gesamtzahl auf 1,6 bis 1,7
Millionen. Ob diese Vorhersage zutreffen wird, hängt nicht zuletzt von
der weiteren Entwicklung der Sterblichkeitsrate bzw. einer möglichen Verlängerung
der Überlebenszeit Demenz-Kranker ab. Im Hinblick auf die prozentuale
Verteilung der primär degenerativen Demenzen schließt sich die
Bundesregierung folgenden Häufigkeitsangaben an: 50 bis 60 Prozent
Demenzen vom Alzheimer Typ, 15 bis 20 Prozent Demenzen vom vaskulären Typ
und etwa 15 Mischformen aus beiden Typen.
Nicht
heilbar, aber behandelbar
In therapeutischer Hinsicht
vertritt die Bundesregierung die Auffassung, primäre Demenzen seien zwar
bislang nicht „heilbar“, wohl aber „behandelbar“. Ähnlich wie bei
anderen Leiden gebe es Möglichkeiten, deren Auswirkungen zu mildern.
Folgenden Behandlungszielen gibt das oberste Exekutivorgan Vorrang:
*
den Beginn der manifesten Erkrankung möglichst zeitlich
aufzuschieben,
*
ein Verschlimmern oder Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern,
*
Selbstbestimmung und Selbständigkeit der Lebensführung der
Erkrankten mit allen Mitteln zu fördern,
*
Würde und Lebensqualität Betroffener auch im Spätstadium der
Erkrankung durch Anpassung der Lebensbereiche an verbliebene Fähigkeiten
zu gewährleisten.
Diese Ziele seien durch
einen mehrdimensionalen ganzheitlichen Ansatz mit folgenden
unverzichtbaren Einzelkomponenten zu verfolgen:
*
internistischer Basistherapie,
*
medikamentöser Behandlung mit hirnleistungsaktivierenden Präparaten,
*
medikamentöser Therapie mit Psychopharmaka,
*
allgemeiner Aktivierung und gezielter Anregung (in Form von
Physiotherapie, Hirnleistungstraining, Ernährungsoptimierung, Sozio- und
Milieutherapie),
*
psychotherapeutische Maßnahmen.
Unverzichtbarkeit
von Nootropika
Die Antwort zu Teilfrage
14 wird möglicherweise die unerfreuliche Diskussion zur Nützlichkeit von
Nootropika mit einem „Machtwort“ von höchster Ebene beenden. Denn die
Bundesregierung stellt unmißverständlich klar, daß man auf diese
Substanzgruppe in absehbarer Zeit „nicht verzichten können“ wird..
Ohne Präparatenamen zu nennen, weist die Bundesregierung darauf hin, daß
sieben Pharmaka behördlich zur Therapie von Hirnleistungsstörungen bzw.
Demenzen zugelassen sind. Einwandfreie Studien zur Wirksamkeit von
Nootropika gebe es bislang nur für wenige Substanzen. Diskussionen über
den Wert einer Behandlung seien vor allem darauf zurückzuführen, daß
viele klinische Studien zu älteren Präparaten heutigen methodischen
Standards nicht entsprechen. Auch wenn das Ausmaß der erzielbaren
Verbesserungen mitunter gering ausfalle, sei ein Behandlungsversuch
gerechtfertigt mit dem Ziel, das Leben der Betroffenen wenigstens etwas zu
erleichtern. Da die Nebenwirkungsrate von Nootropika eher gering ist, dürfte
ihr Nutzen das Risiko einer Behandlung überwiegen, wenn die Therapie in
der Frühphase der Erkrankung beginnt. In diesem Zusammenhang weist die
Bundesregierung zugleich auf die Notwendigkeit einer ausreichend langen
Behandlung hin. Aus ökonomischer Sicht liege der Nutzen einer medikamentösen
Therapie darin, daß sie den Krankheitsverlauf verlangsame und es so ermögliche,
die häufig kostengünstigere häusliche Versorgung länger beizubehalten
bzw. die stationäre Versorgung hinauszuzögern.
Ein
Wort in eigener Sache
Pharmazeutische
Unternehmen wie die Pharmacia & Upjohn GmnH begrüßen die Antwort der
Bundesregierung, zumal derart ausführliche Stellungnahmen zu
medizinischen Problemen keineswegs zum politischen Tagesgeschäft gehören.
Insbesondere ist jetzt zu hoffen, daß behördlich zugelassene Nootropika
mit zweifelsfrei nachgewiesener Wirksamkeit (wie Sermion® 30) damit ein für
alle Mal aus dem bisherigen Rechtfertigungszwang entlassen werden. Die
kontrollierte Anwendung von wirksamen Nootropika wird in Zukunft gerade
aus gesundheitsökonomischer Sicht erforderlich sein.
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