Japan.
Ungewöhnliche Wege in der Demenz-Behandlung beschreitet ein japanisches
Pflegeheim: Seit sieben Jahren ermutigt es die Patienten, allabendlich
miteinander Theater zu spielen. Das erfolgreichste Stück lief über zwei
Jahre.
Wie M, Moriyama und Mitarbeiter
berichten, hatten die Teilnehmer nicht nur Spaß an dieser Aktivität.
Viele von ihnen veränderten sich eindrucksvoll: Sie lächelten mehr und
grüßten häufiger. Sie kümmerten sich verstärkt um einander und ihre
Gespräche wurden lebhafter. Lautstärke und Klarheit ihrer Stimmen nahmen
zu. Die Bewegungen wurden leichter und rhythmischer. Das
Wiedererkennungsvermögen verbesserte sich. Viele Patienten wurden
kooperativer, emotional stabiler, spontaner, kreativer und neugieriger im
Hinblick auf das Theaterstück. Sie lernten neue Verhaltensweisen kennen,
konnten ihre Gefühle besser ausdrücken und länger aufmerksam bleiben.
Geselliges
Spiel hilft
Die japanischen Autoren lüften
auch das Geheimnis ihres Erfolges: Nach jedem Abendessen lädt das
Pflegepersonal die Heimbewohner ein, eine Stunde lang gesellig in familiärer
Atmosphäre beisammen zu sein. Dazu schaltet es alle Lichter bis auf
diejenigen im Versammlungsraum aus. Auf diese Weise und durch Anstimmen
eines dem Theaterstück entnommenen Ledes, lockt es die Patienten zum Ort
des Geschehens. Den Höhepunkt des Abends bildet die Aufführung eines
populären musikalischen Liebesdramas, das den meisten Bewohnern aus ihren
jüngeren Lebensabschnitten vertraut ist. Unter Anleitung einer
Pflegekraft übernehmen die Heimbewohner im Rahmen ihrer Fähigkeiten
wechselnd eine von zwei möglichen Hauptrollen. Maximal 10 Minuten lang
spielen sie eine typische Szene, bevor ein anderes Paar diese Szene erneut
zum Besten gibt. Freie Improvisation ist üblich und erwünscht. Auch
Patienten, die kein einziges Wort sagen oder nichts mehr nachspielen können,
erscheinen auf der Bühne und erhalten Applaus. Die Veranstaltung wird
umrahmt und ergänzt, durch gemeinsames Singen oder durch Einlagen anderer
Patienten, die ihre Fähigkeiten darstellen (z.B. durch Vortragen eines
Liedes, einer Ansprache oder eines Instrumentalstückes). Ängstliche
Patienten werden vom Personal begleitet, das dabei Körperkontakt hält.
Der Conferencier des Abends spricht die Patienten so oft wie möglich mit
dem Namen an, um den Kranken das gegenseitige Wiedererkennen zu
erleichtern und Kontakte untereinander zu fördern. Er achtet auf einfache
Vorgaben, läßt häufig Worte und Aktionen wiederholen und zeigt allen
Besuchern gleichermaßen seine Wertschätzung. Jeder auch noch so demente
Besucher des Abends wird in das Geschehen einbezogen. Die häufige
Wiederholung des gleichen Stückes mag zwar das Pflegepersonal auf Dauer
langweilen, Demenz-Kranken profitieren dagegen von ihrer Vergeßlichkeit.
Sie erinnern weniger die Handlungen des Vorabends als vielmehr die mit
diesem verbundenen freudigen Gefühle.
Vielseitige
Förderung
Moriyama und Mitarbeiter
gehen davon aus, daß mehrere Faktoren für die positiven Veränderungen
bei den Demenz-Kranken verantwortlich zeichnen: Durch das Theaterspiel
werden sie kognitiv gefordert sowie körperlich und emotional aktiviert.
Vor allem die positiven Reaktionen des Publikums (Applaus, Wertschätzung)
motivieren zum Mitmachen. Gleichsam im Vorbeigehen üben die Patienten
durch Nachahmung wichtige soziale Verhaltensweisen (Lernen am Vorbild,
Sammeln positiver Erfahrungen durch Ausprobieren).
Therapeutisches Theater ist eine
komplexe Kunst, die viele Fähigkeiten anspricht (Sprachvermögen,
bildhaftes Gestalten, soziale Fertigkeiten, körperliche Bewegung). Die
meisten dieser Fähigkeiten sind elementar (Sprechen, Singen, Zuhören,
Bewegen, Sehen, Handeln, Berühren, Kommunizieren und Interagieren). Da es
durchweg um alte populäre Theaterstücke geht, können die Patienten ihr
meist erhaltenes Langzeitgedächtnis nutzen und sich an die „guten alten
Zeiten“ und die damit verbundenen angenehmen Gefühle erinnern. Die mit
dem Thema des Stückes (Liebesdrama) verbundenen Emotionen sind fast allen
Menschen vertraut und ermöglichen damit ein gemeinsames Erleben.
Die Autoren betonen, daß das
therapeutische Theater nicht entscheidend das Betreuungskonzept der
Einrichtung prägt. Dieses werde vor allem durch drei Prinzipien bestimmt:
1. Ein Pflegeheim sollte ein normales Leben und viele soziale Aktivitäten
ermöglichen. 2. Es sollte Lebenssinn anbieten. 3. Die Patienten sollten möglichst
weitgehend in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.
M.
Moriyama, N. Sakurai, K. Kamata: Therapeutic drama activity for the
cognitively impaired elderly in a nursing home. Aging Clin. Exp. Res. 1995
(7) 441-450
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