Im
Umgang mit „unverständlichen“ Äußerungen Demenz-Kranker hat es sich
bewährt, die gefühlsmäßige Botschaft herauszuhören. J. Becker plädiert
darüber hinaus für den Versuch, primär unvernünftig erscheinende
Aussagen und Verhaltensweisen der Patienten als „richtig“ anzusehen
und sich so neue Kooperationsweisen zu erschließen.
Als Beispiel erwähnt die Darmstädter
Ärztin eine schwer demente Patientin, die durch folgendes Verhalten
„schwierig“ erschien: Sie war nachts unruhig und zog sich die Windel
aus, die sie aus Sicherheitsgründen trug. Sie näßte ein und zog ihre
Bettwäsche ab. Sie räumte ihren Schrank vollständig aus, so daß alles
auf dem Boden herumlag. Dann schlief sie unter dem Bett weiter, ohne Hilfe
herbeizurufen.
Üblicherweise würde man dies
als schwere Verwirrtheit interpretieren. J. Becker schlägt dagegen vor,
dem beschriebenen Verhalten Logik zuzubilligen und folgende Zusammenhänge
zu unterstellen: Die Patientin verstand den Sinn einer Windel für
Erwachsene nicht und sah darin eher eine Unterhose, die man bei Harndrang
auszieht. Anders wußte sie sich nicht zu helfen und näßte daher ein.
Folgerichtig zog sie jedoch anschließend das nasse Bettzeug ab, wie sie
es aus ihrer Zeit als Hausfrau gewohnt war. Sie räumte den kompletten
Schrank aus, um darin vergeblich nach frischem Bettzeug zu suchen. Ermüdet
legte sie sich schließlich vor ihr Bett, weil dieses noch immer
beschmutzt und nicht wieder hergerichtet war.
Vermutlich wird sich nie
entscheiden lassen, welche der beiden Versionen „richtig“ ist. Die
zweitgenannte setzt allerdings die Bereitschaft und den Willen voraus,
entsprechende Deutungen zu erarbeiten, während im zuerst genannten Fall
immer das Globaletikett „verrückt“ bzw. „unvernünftig“ paßt.
Die Alternative zwei ist also anstrengender. Auch verändert sie die
Beurteilung der Kranken, da man ihnen zubilligt, zumindest auf die Folgen
ihrer Erkrankung großenteils vernünftig (also für andere logisch
nachvollziehbar) zu reagieren.
Vernunft
mißt sich immer am Bezugsrahmen
Die Autorin weist darauf hin, daß
„unvernünftiges Handeln“ auch Gesunden vertraut ist. Beispielhaft erwähnt
sie das plötzliche Vergessen einer Absicht („Man geht in die Küche und
weiß nicht mehr, was man dort wollte“). Gesunde behelfen sich in
solchen Situationen, indem sie an den Ausgangspunkt ihrer Handlungskette
zurückkehren, weil sie hoffen, sich dort besser erinnern zu können. Ähnlich
kann man vielleicht auch Demenz-Kranken helfen, indem man ihnen durch
geeignete Schlüsselreize den Anfang eines Handlungsfadens anbietet.
Viele Schwierigkeiten im Umgang
mit Demenz-Kranken sind nach Ansicht der Autorin auf die Erwartung zurückzuführen,
daß sie sich ihrer neuen Umwelt (dem Pflegeheim) anpassen, also
entsprechend „vernünftig“ handeln. Manche Mißverständnisse und
Konflikte würden sich vielleicht erledigen, wenn man ihnen zubilligt, daß
sie sich durchaus „vernünftig“ verhalten, nur eben im Hinblick auf völlig
andere (nämlich alte!) Rahmenbedingungen.
J.
Becker: Demente alte Menschen betreuen - sich das Rätselhafte verständlich
machen. Psy. Pflege 1996 (2) 80-83
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