Möglicherweise
stehen viele Vorstellungen darüber, wie sich die Betreuung eines
Demenz-Kranken auf den Betreuer auswirkt, auf wackeligen Füßen. Denn
die meisten Veröffentlichungen, die sich bisher mit dieser Thematik
befaßten, interessierten sich vor allem für die „krankmachenden“
Folgen des betreuerischen Engagements, wie Erschöpfungszustände,
Depressionen, sozialer Rückzug und völlige „Selbstaufgabe“.
Daraus leitete sich dann die Forderung ab, die Betreuer zu unterstützen
und so den genannten Folgen vorzubeugen.
Zwei neuere Publikationen
werfen nun die Frage auf, ob bislang nicht zu einseitig geforscht
wurde. Tatsache ist nämlich, daß die meisten Studien vor allem
gezielt nach krankmachenden Faktoren fahndeten und daher auch nichts
Besseres bzw. Hilfreicheres als „Pathologie“ finden konnten.
Dagegen wurde die Situation nur äußerst selten aus einer positiveren
Sicht beleuchtet, etwa in Form der Fragen: Entscheiden sich möglicherweise
vor allem besonders befähigte Personen dazu, einen chronisch Kranken
zu betreuen? Kann man an einer solchen Aufgabe nicht sogar wachsen
bzw. aus ihr Lebenssinn und entsprechende Kraft schöpfen?
Eine auf einer Bevölkerungsbefragung
beruhende Studie von J. I. Farkas und C. L. Himes erschüttert
zumindest eine bislang weit verbreitete Vorstellung: Vor allem berufstätige
Frauen in mittlerem Alter scheinen sich keineswegs aus freiwilligen
sozialen Aktivitäten zurückzuziehen oder „sich selbst
aufzugeben“, wenn sie zusätzlich einen hilfsbedürftigen Menschen
betreuen. Eher das Gegenteil ist der Fall, da sich solche Frauen sogar
vermehrt in Freizeitaktivitäten engagieren als Frauen, die niemanden
betreuen. Die Studie läßt offen, wie man sich dieses Phänomen erklären
kann. Möglicherweise fühlen sich gerade besonders leistungsfähige
Frauen am ehesten der Aufgabe gewachsen, zusätzlich zu ihrem Beruf
und ihrem privaten Engagement auch noch einen kranken Menschen zu
betreuen. Denkbar ist ebenfalls, daß solche Frauen sich deshalb
vermehrt privat engagieren, weil sie sich dadurch mehr entlastet als
belastet fühlen.
Während sich die erwähnte
Studie allgemein mit der betreuerischen Tätigkeit von Frauen befaßte,
lenkt C. J. Farran die Aufmerksamkeit gezielt auf die möglicherweise
bislang unterschätzten positiven Effekte der Betreuung
Demenz-Kranker. Wie kommt es, daß manche Betreuer so zufrieden, ruhig
und mit sich selbst in Frieden wirken? Warum wissen wir so wenig darüber,
wie manche Betreuer es schaffen, unter extrem schwierigen Bedingungen
so gut zurecht zu kommen? lauten einige der von der amerikanischen
Autorin aufgeworfenen Fragen. Frau Farran selbst nimmt unter anderem
an,
·
daß sich die Betreuungsforschung zu einseitig mit den
negativen Folgen von Streß („Disstreß“) und kaum mit dessen
positiven Auswirkungen („Eustreß“) befaßt hat,
·
daß so gut wie keine Kriterien entwickelt wurden, mit
deren Hilfe sich positive Auswirkungen der Dementen-Betreuung erkennen
und messen lassen und
·
daß man einseitig davon ausgeht, daß sich der Betreuer
seiner Aufgabe „anpaßt“. So übersieht man, daß der Betreuer möglicherweise
auch daran wächst (gesundet), insbesondere indem er in seiner Aufgabe
Lebenssinn entdeckt.
Vor diesem
Hintergrund plädiert die Autorin dafür, daß sich künftige Studien
auch mit folgenden Fragen beschäftigen: Welche Fähigkeiten und
inneren Werte bringen Menschen mit, die sich als Betreuer zur Verfügung
stellen? Gibt es bislang noch unbekannte Ressourcen, auf welche solche
Personen zurückgreifen? Welche Fähigkeiten werden erst im Verlauf
des Betreuungsprozesses entwickelt? Wie wirken sich die bei der
Betreuung gemachten Erfahrungen auf den Betreuer langfristig aus
(nachdem der Demenz-Kranke verstorben ist)?
Fazit der
Redaktion: Trotz zahlreicher Studien scheinen Betreuer
Demenz-Kranker überwiegend eher noch „unbekannte Wesen“ zu sein,
die bislang möglicherweise zu einseitig als „krankheitsgefährdet“
und weniger als „leistungs- und entwicklungsfähig“ dargestellt
und wertgeschätzt wurden.
J.
I. Farkas, C. L. Himes: The influence of caregiving and employment on
the voluntary activities of midlife and older women. J. Gerontol.:
Social Sciences 1997 (52B), S180-S189; C. J. Farran: Theoretical
perspectives concerning positive aspects of caring for elderly persons
with dementia: stress/adpatation and existentialism. The Gerontologist
1997 (37) 250-256