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Auch Demenz-Kranke hoffen auf "Alternativmedizin"

Carolina/USA. Viele unheilbar Kranke (wie Krebs- oder AIDS-Patienten) greifen in ihrer Verzweiflung nach jedem Strohhalm. Es gibt kaum einen Betroffenen, der nicht wenigstens eine sog. alternative Therapiemethode einmal ausprobiert hat. Wie L. M. Coleman und Mitarbeiter in einer Studie feststellen, bilden Demenz-Kranke keine Ausnahme. Seltsamerweise wird darüber aber kaum ein Wort verloren, während das gleiche Verhalten bei Krebs-Patienten mitunter hitzige Debatten auslöst. Dabei ist es durchaus denkbar, daß Verschlechterungen im Befinden eines Demenz-Kranken auch einmal auf das Konto einer "Alternativ-Therapie" gehen. Wenn diese auch noch so "pflanzlich" oder "natürlich" erscheinen mag, kann sie doch mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein. Bei jedem Demenz-Kranken sollte man sich daher routinemäßig danach erkundigen, ob bzw. mit welchen unkonventionellen Methoden er bereits Erfahrungen gesammelt hat. Dabei ist es wichtig, vorsichtig und wertfrei anzufragen. Wer die Selbstheilungsversuche des Patienten unbedacht verurteilt, würgt nur jede weitere Kommunikation ab. Davon abgesehen ist es natürlich wichtig, den Patienten über die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Behandlung aufzuklären. Denn die Wirksamkeit von "Alternativmethoden" ist bei Demenzen in aller Regel nicht ausreichend belegt. Dagegen weiß man, daß auch Alternativansätze mit Nebenwirkungen einhergehen können.

   An der genannten Studie beteiligten sich 101 Betreuer von Demenz-Kranken. In der retrospektiv angelegten Befragung gaben 55 Prozent von ihnen an, daß sie zum Zweck der Gedächtnisverbesserung wenigstens eine Alternativmethode bereits ausprobiert hatten. 20 Prozent hatten es sogar schon mit drei und mehr unkonventionellen Ansätzen versucht. Am häufigsten wurden Vitamine erprobt (84 Prozent), gefolgt von Heilnahrung (27 Prozent), pflanzlicher Medizin (11 Prozent), "diätetischen Pillen" (9 Prozent) und Hausmitteln (7 Prozent). Als Beispiele für die nicht ausdrücklich erfragten Hausmittel nennen die Autoren Terpentin, Essig und Honig. Der Griff zur Alternativmedizin erfolgte vor allem im frühen Stadium der Erkrankung. Nachhaltige Gedächtnisverbesserungen waren jedoch so gut wie nie zu beobachten. Nur ein Drittel registrierte eine "kleine" Verbesserung. Verhaltensstörungen waren immerhin für 25 Prozent der Befragten ein weiterer wichtiger Grund, es einmal mit Alternativmethoden zu versuchen. Dies galt besonders für solche Betreuer, die auch Gedächtnisprobleme auf unorthodoxe Weise zu beeinflussen versuchten. Das Liebäugeln mit einem unkonventionellen Vorgehen stand in keinem Zusammenhang mit dem Alter, dem Geschlecht oder dem Frustrationsgrad der Betreuer. Auch das Vorhandensein von Verhaltensstörungen und das Ausmaß der wahrgenommenen Unterstützung durch den Hausarzt beeinflußten den Hang zur Alternativmedizin nicht.

   Die Autoren räumen selbst verschiedene Schwächen der Studie ein, z.B. die Auswahl der Befragten (Betreuer statt Betroffene, Mitglieder von Selbsthilfegruppen, die möglicherweise besonders motiviert und engagiert sind). Sie sehen den Wert ihrer Untersuchung besonders darin, das Thema "Demenz und Alternativmedizin" erstmalig gezielt erforscht und dabei auf die bislang wohl unterschätzte Bedeutung der Alternativmedizin für Demenz-Kranke aufmerksam gemacht zu haben. Vor diesem Hintergrund weisen sie auf folgende Gefahr hin: Es ist nicht auszuschließen, daß verzweifelte ältere Demenz-Kranke einen erheblichen Teil ihres Einkommens für ungesicherte Behandlungsansätze opfern und deshalb aus finanziellen Gründen auf andere Hilfe verzichten müssen. Coleman und Mitarbeiter schließen jedoch nicht aus, daß gut verträgliche Alternativtherapien in der Hand eines erfahrenen Arztes auch nützlich sein können.

   Nachdenklich stimmt nicht zuletzt ein weiteres Ergebnis der Studie: Immerhin rund ein Drittel der Befragten hatte das Gefühl, nicht oder nur wenig durch den Hausarzt unterstützt zu werden!

L. M. Coleman, L. L. Fowler, M. E. Williams: Use of unproven therapies by people with Alzheimer's diseas. J. Am. Geriatr. Soc. 43 (1995), 747-70; J. H. Gurwitz: Unconventional medicine and Alzheimers's disease. J. Am. Geriatr. Soc. 43 (1995), 829-830