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Experten-Interview mit Prof. Dr. Dr. Hellmut Erzigkeit und Dipl.-Psych. Dr. Hartmut Lehfeld, Psychiatrische Universitätsklinik Erlangen

Psychometrie bei Demenz-Kranken

Erlangen. Der wissenschaftliche Anspruch an die Demenz-Behandlung hat der dazugehörigen Diagnostik und Therapie zu einem hohen Niveau verholfen, das dem Qualitätssicherungsgebot des Sozialgesetzbuches Rechnung trägt. Nur wenige andere medizinische Bereiche setzen psychometrische Verfahren in vergleichbarem Umfang routinemäßig und auf breiter Ebene ein. Demenz-Spektrum (DS) nutzte die Gelegenheit, zwei Experten zu wichtigen praktischen Gesichtspunkten der Psychometrie bei Dementen zu befragen.

DS: Herr Prof. Erzigkeit, was erschwert die

testpsychologische Untersuchung Demenz-Kranker?

Prof. Erzigkeit: Die Testsituation, die wir bei Untersuchungen von Demenz-Patienten in der Klinik oder in der ärztlichen Praxis vorfinden, unterscheidet sich grundlegend von Testungen gesunder Personen. Schwierigkeiten bei der Testabnahme resultieren beispielsweise daraus, daß Patienten nur bedingt belastbar sind. Zudem ist das Verständnis für die Anforderungen der einzelnen Testaufgaben häufig herabgesetzt. Zu diesen demenzspezifischen Beeinträchtigungen können weitere Defizite hinzutreten, etwa Störungen der Feinmotorik oder nachlassende Sehkraft. Faktoren wie diese müssen bei der Testauswahl unbedingt berücksichtigt werden. Ab einem bestimmten Störungsgrad sind Demenz-Patienten mit kognitiven Leistungstests nicht mehr zu untersuchen. Hier ist der Einsatz von Fremdbeurteilungsskalen zu empfehlen, die entweder über den Arzt oder den Angehörigen krankheitsrelevante Merkmale der Demenz erfassen. Erfreulicherweise wird seit einiger Zeit intensiv daran gearbeitet, solche Verfahren zur Dokumentation von Demenz-Symptomen aus dem nicht-kognitiven Bereich zu entwickeln.

PS: Wo sehen Sie noch Nachholbedarf?

Prof. Erzigkeit: Grundsätzlich sollte bei Demenz-Kranken nicht nur ein negatives, sondern auch ein positives Leistungsbild erhoben werden, um noch erhaltene Leistungen zu erfassen, die z.B. für Kompensationsstrategien genutzt werden können. Ebenso wichtig ist es, Instrumente zu entwickeln, die eine Früherkennung der Demenz auf ökonomische Weise erlauben. Dies ist deshalb so wichtig, weil man davon ausgehen kann, daß eine Früherkennung und der rechtzeitige Beginn der Behandlung den besten Therapieerfolg versprechen.

DS: Herr Lehfeld, wo sehen Sie weitere Grenzen der Psychometrie bei Dementen?

Dr. Lehfeld: Bei der Beurteilung des Erfolges therapeutischer Maßnahmen wird zunehmend Gewicht auf den Nachweis der „klinischen Relevanz“ der Behandlung gelegt. Damit sind Auswirkungen der Therapie gemeint, die sich auch im Alltag des Patienten in seinem Verhalten und Erleben zeigen. Skalen, die eine Erhaltung oder Verbesserung von Alltagskompetenzen oder einen Zugewinn an Lebensqualität abbilden können, scheinen hierfür prinzipiell besser geeignet zu sein als psychometrische Leistungstests. Für den Bereich der Alltagsaktivitäten (ADL) gelingt die Erfassung demenzbedingter Störungen und deren Veränderungen im Therapieverlauf mittlerweile schon in zufriedenstellender Weise, etwa über die Auskünfte von Angehörigen. Schwieriger gestaltet sich die Messung der Lebensqualität, die in der Regel eine Selbstbeurteilung voraussetzt. Da die Fähigkeit zur Reflexion mit fortschreitender Demenz jedoch abnimmt und Fremdurteile die Selbstauskunft nicht ersetzen können, sind Lebensqualitätsskalen hinsichtlich ihrer Eignung für die Beurteilung des Therapieerfolges gegenwärtig noch in der Diskussion.

DS: Es gibt auch Kritik an den bewährten Demenz-Tests. Was ist davon zu halten?

Dr. Lehfeld: Jedes psychometrische Verfahren hat seine Grenzen. So kann man beispielsweise an dem weltweit angewandten Mini Mental State Examination (MMSE) kritisieren, daß dieser Test stark bildungs- und kulturabhängig ist. Auch für längsschnittliche Untersuchungen ist er nicht geeignet, ebensowenig für die Erfassung diskreter kognitiver Störungen. Häufig lassen sich Nachteile einzelner Verfahren durch die Kombination mehrerer Tests ausgleichen. Im Rahmen unserer Gedächtnissprechstunde setzen wir beispielsweise eine Testbatterie ein, die aus dem SKT (= Syndrom-Kurz-Test), einer ADL-Skala, die in Erlangen in Kooperation mit internationalen Forschungszentren entwickelt wurde, und einer klinischen Globalbeurteilung besteht. Damit erfüllen wir die Forderung nach Berücksichtigung unterschiedlicher Meßebenen in der Demenz-Diagnostik. Zunehmender Kritik sieht sich in letzter Zeit vor allem der Hachinski-Ischämie-Score (HIS) ausgesetzt. So konnten Swanwick und Mitarbeiter (1996) zeigen, daß der HIS zwar sensitiv eine Alzheimer-Demenz zu erkennen vermag, für die Erkennung einer ischämischen vaskulären Demenz aber zu wenig sensitiv ist.

DS: Was ist von sogenannten Kurztests zur Erfassung der Demenz zu halten? Sind Sie ein Kompromiß, bei dem zugunsten einer schnellen Durchführung auf mögliche Vorteile ausführlicherer Tests verzichtet wird?

Erzigkeit: Keineswegs. Wie eigene frühere Arbeiten und jetzt auch eine Untersuchung von Stuss und Mitarbeitern (1996) zeigen, sind die Kurztests häufig genau so gut, ja in Einzelfällen - selbstverständlich in Abhängigkeit von der Fragestellung - besser als längere Tests. Die erwähnte Studie verglich insgesamt fünf psychometrische Verfahren.

DS: Was leistet der von Ihnen entwickelte SKT?

Erzigkeit: Der SKT mißt den Schweregrad von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen im Rahmen von Hirnleistungsstörungen unterschiedlicher Genese. Er ermöglicht die Kontrolle des Krankheitsverlaufs und die Evaluation therapeutischer Maßnahmen. Der SKT hat sich auch bei der Erfassung leichter kognitiver Störungen bewährt.

Er eignet sich sehr gut für den Einsatz in der Praxis des niedergelassenen Arztes, da seine Anwendung leicht zu erlernen ist und die Durchführung wenig Zeit benötigt (Ersttestung: ca. 15 Minuten; Wiederholung: 10 Minuten). In der Regel kann das ärztliche Hilfspersonal den SKT abnehmen. Im kassenärztlichen Bereich wird die Durchführung mit der EBM-Ziffer 892 (300 Punkte) abgerechnet, wobei es jedoch regionale Unterschiede gibt. Der SKT umfaßt neun Subtests, deren maximale Bearbeitungszeit jeweils 60 Sekunden beträgt. Er ist für vier Altersgruppen normiert. Reliabilität und Validität des Verfahrens wurden in internationalen Studien abgesichert. Zur Zeit wird der SKT in einer Anwendungsbeobachtung mit Sermion® 30 bei Demenz-Kranken in der niedergelassenen Praxis eingesetzt.

DS: Herr Prof. Erzigkeit, Dr. Lehfeld, vielen Dank für Ihre Informationen.

 

Literaturempfehlungen:

W. Braun/R. Schaltenbrand (Hrsg.): Qualitätssicherung in Diagnostik und Therapie am Beispiel der Demenzerkrankungen. Berichtsband zum Methodenforum im November 1995. Universität Witten/Herdecke Verlagsgesellschaft mbH, Witten 1996. 199 Seiten. 72 DM. Bestelladresse: IFE GmbH, Alfred-Herrhausen-Str. 54, 58455 Witten

In den 18 Beiträgen des Sammelbandes beleuchten niedergelassene und klinisch tätige Demenz-Experten, Pflegekräfte und „Qualitätsmanager“ das Thema aus der Sicht ihres Faches.

H. Erzigkeit: SKT Kurzmanual, Geromed Witten 1992

H. Lehfeld: Ist mit dem Einsatz von Lebensqualitäts-Skalen in klinischen Studien im Bereich dementieller Erkrankungen ein Informationsgewinn verbunden? Zeitschrift für Gerontopsychologie u. -psychiatrie 1996 (9) 235-242

D. T. Stuss et al.: Do long tests yield a more accurate diagnosis of dementia than short tests? Arch. Neurol. 1996 (53) 1033-1039

G. R. Swanwick et al.: Utility of ischemic scores in the differential diagnosis of Alzheimer´s disease and ischemic vascular dementia. Int. Psychogeriatrics 1996 (8) 413-424